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Island

ISLAND-LANDESFÜHRER ADAC | 2021 |

eine Auswahl verschiedener Magazin-Artikel, die 2021 in Bernd Bierbaum: Island, ADAC, veröffentlicht wurden:

Islandtief

Island hat meteorologisch gesehen keinen guten Ruf. Wann immer es in Mitteleuropa Schmuddelwetter gibt, scheint die kleine Insel oben links auf der Wetterkarte in der Verantwortung zu stehen. Wenn das Islandtief schon in Europa für Turbulenzen sorgt, wie sieht es dann erst in Island selbst aus?

Wechselhaft und hohe Regenwahrscheinlichkeit – das passt meistens. Klimawissenschaftler haben es nicht leicht, wenn sie das Wetter auf der Insel vorhersagen sollen. Kein Wunder, – ist der Nordatlantik doch die ultimative Wetterküche, in der eine Vielzahl von Ingredienzen zusammengerührt werden und am Ende dennoch kaum jemand weiß, was genau dabei herauskommt. 

Eine gewichtige Zutat ist das berüchtigte Islandtief. Auf der Wetterkarte ziehen sich geschwungene Linien mit Haken bedrohlich nach Europa um ihre ganze Feuchtigkeit zu entladen, doch der Eindruck täuscht, denn auch im Wetter gehören meist zwei dazu: Das notwendige Gegenstück zum Tief ist das Hoch, und das liegt meist westlich der Azoren. Vom Azorenhoch also fließt die Luft aufgrund der Corioliskraft (man erinnere sich an den Physik-Unterricht) in einer großen langen Kurve im entgegengesetzten Uhrzeigersinn zu den Feuchtgebieten Europas: Zunächst den Nordwesten Spaniens, wo es fast viermal so viel regnet wie im deutschen Durchschnitt. Weiter England und Mitteleuropa, dann Südwest-Norwegen und schließlich Island. Wo die Luftmassen die Insel im Süden erreichen, regnet es im Jahr bis zu 3000 Millimeter. 

Auf Island nennt man solch ein Wetter das Gluggave∂ur, oder „Fenstergucker – Wetter“. 

Das Islandtief also ist die erste Zutat der Wetterküche. Als nächstes füge man den Jetstream hinzu. Dort wo sonst die Transatlantikjets unterwegs sind, fließt Luft sehr schnell von West nach Ost – der Grund, warum der Flug von Europa in die USA viel länger dauert als umgekehrt. Der Jetstream funktioniert wie eine große Luftwalze, die sich um ihre Achse dreht und dabei Luft ansaugt. Die steigt von unten auf und verliert unter dem Jetstream ihre Feuchtigkeit. Und das meist über Island…

Drittens: Meeresströmungen. Sie sind für das Wetter Europas im Allgemeinen und Island im Speziellen ausschlaggebend. Der milde Golfstrom nämlich fördert gewaltige Mengen an warmem Wasser aus der Karibik in Richtung Nordeuropa. Gegenden Festlandeuropas und Island liegen im Einflussbereich des Golfstroms, aber auch kälterer Ausgleichs-Strömungen. Das Zusammenspiel der Beiden bleibt selten ohne Turbulenzen.

Im Bezug auf Island muss auch die Topographie der Insel erwähnt werden. Die räumliche Nähe großer Gletscher und hoher Berge bildet ein formidables Bollwerk, wenn der Wind über die Insel bläst. Um diese Barrieren zu überwinden, weicht die Luft in die Höhe aus und regnet an den Flanken der Berge und Gletscher als Steigungsregen ab. Unmittelbar nördlich oder zwischen den drei großen Gletschern ist die Luft trocken, – das erklärt das Phänomen einer Insel mit feuchten Küsten und Hochlandwüsten in ihrem Inneren.

So weit die Grundlagen, doch nun noch ein paar zusätzliche Unwägbarkeiten: Islands Vulkane beispielsweise. Ihre Aschewolken haben im Laufe der Geschichte immer wieder zu großen Klimaveränderungen, auch über Island hinaus, geführt. (siehe Laki Spalte, Kapitel 6). Oder die Sonnenfleckenaktivitäten der Sonne, die nicht nur faszinierende Polarlichter erzeugen, sondern auch Antrieb ganz anderer Wetterphänomen sein könnten. Längst ist noch nicht alles erforscht. 

Island ist ein Traum für diejenigen, die auch beim Wetter die Abwechslung lieben. So nah am Polarkreis machen sich kleine Veränderungen bei Temperaturen oder Niederschlägen unmittelbar in den Lebensbedingungen von Menschen, Tieren und Pflanzen bemerkbar. Die jüngste Klimaerwärmung etwa lässt Makrelen, die früher weiter südlich lebten, zunehmend nordwärts wandern. Im Wettbewerb um die gemeinsame Nahrung (Sandaale) drängen sie die Papageientauche immer weiter auf die Nordseite der Insel.

Oder das Abschmelzen der Gletscher. Der Öx-Gletscher ist vor wenigen Jahren verschwunden. Ein anderer am Vatnajökull zog sich im gleichen Zeitraum so stark zurück, dass ein neuer Wasserfall entstand, der heute der höchste Islands ist.

Für Besucher ist das wechselhafte Wetter ein fester Bestandteil des Reiseerlebnisses. Am besten man reagiere mit häufigen Kleidungswechseln und nehme es sportlich. Wenn dann die Regenbogen am Horizont kaum mehr verschwinden wollen, oder im Hochsommer morgens nach dem Aufwachen die umliegenden Berge mit Neuschnee gezuckert sind, oder im Winter die Polarlichter flackern, wird deutlich, dass die Wechselhaftigkeit des isländischen Klimas das Salz in der Suppe jeder Reise ist.

Island-Pferde

Island ist untrennbar mit seinen Pferden verbunden. Die 80 000 Vierbeiner, die im Winter mit langem, zottigem Winterkleid stoisch auf Schnee, im Sommer grasend auf grünen Bulten und Schlenken stehen, sind am Ende eines Ausflugstages zu bizarrsten Lavafeldern, grünsten Moospolstern oder gigantischsten Plateaugletschern ein dankbarer Anblick. 

Den Isländern gelten sie als Zeichen geschichtlicher Kontinuität. In einem Land ohne architektonische Überbleibsel des „Goldenen Zeitalters“ sind Pferde nebst Schafen, den nordischen Kühen und der überlieferten Sprache so etwas wie der Tempel der Ahnen. Die Vorväter und –Mütter der Isländer hätten ohne die Hilfe dieser Tiere zu Transportzwecken, oder durch den Verzehr ihres Fleisches, kaum überleben können. Deshalb essen sie sie auch. Mitgebracht wurden sie vor mehr als 1000 Jahren. Mit ihnen ritt man zu Märkten und Festen und oft wochenlang zum Allthing quer über die Insel. Dort wurde bereits 982 beschlossen, keine Pferde mehr nach Island zu importieren, ein Verbot das noch heute gilt.

Wenn man im Vorderen Orient behauptet, der Esel sei der Toyota der Antike, dann wäre das Islandpferd der Superjeep alter Zeiten. Die Hydraulik, die bei diesen Fahrzeugen die Unebenheiten des Bodens auszugleichen versucht, übernimmt beim Pferd die schnelle Schrittfolge der Beine. Anders als beim Galopp oder Trab, bewegen sich die Reiter im Tölt auf dem Rücken der Tiere kaum.

Die Gangart des Tölt und des rasanten skei∂, bei dem immer zwei Beine auf jeder Seite den Boden berühren, ist keine Exklusivität des Islandpferdes, auch andere Pferderassen können das, aber dem Islandpferd ist es angezüchtet worden. Das ist nicht das einzige Rassemerkmal dieses Pferdes.

Islandpferde, die in mehr als 400 Farben und Schattierungen auftreten, kratzen im Winter die verharschte Schneeschicht frei, um an kurzgewachsene Kräuter vorzudringen. Sie fressen getrockneten Fisch, und sie schwimmen durch Eisbäche. Ihr Magen ist nicht an Zuckerl oder Apfelstückchen gewöhnt, allein schon, weil es lange weder Äpfel noch Zucker auf Island gab. archaisch. Die robusten Eigenschaften brachten sie nicht mit, sie entwickelte sich erst auf Island. 

Die Menschen der Insel sehen im Pferd gern ihre eigene Anpassungsfähigkeit und Ausdauer gespiegelt. Sie geben ihnen ausgesuchte Namen, die den Auflagen nach Authentizität und grammatischer Korrektheit des Ursprungszuchtbuches WordFengur entsprechen müssen, so wie Alfarleggur (Schwanenbein), Tildra (Mädchen, das sich gern hübsch anzieht), Vindsvöl (Eiswind), Völsavilla (Zaubernebel) oder Snigill (Schnecke).

Isländische Küche

Vorneweg gleich eine Entwarnung: Wer keine Lust auf Experimente hat, kann in Island ganz normal essen und trinken gehen. Es gibt Hamburger, Steak, Pommes frites, Salat, Asiatisches, Nudeln, Suppe und Cola. Doch es geht auch anders. Ganz anders:

Am besten noch vor dem Frühstückskaffee einen Schluck Lebertran (Lysi), dann Trottellummen-Spiegelei, etwas gegrillte Papageientaucher-Brust, fermentierten Grönlandhai, der streng nach Ammoniak riecht, Wal, Delphin, Rentier und Pferd, Innereien und viel Blut, Moossuppe, im Molke eingelegte Robbenflosse, gequetschte Schafshoden (hrútspungar) und –Köpfe, die am besten mit beiden Händen umfaßt werden, um sie besser auszulutschen.

Die beste Zeit, um dieses Panoptikum an Gerichten auszuprobieren (oder sich davor zu bewahren) ist das überlieferte Thorrablót. Dem Gott Thor gewidmet, folgt das Mittwinterfest keinem festen Datum, wird aber zwischen dem 18. Januar und dem 16. Februar abgehalten. An diesem Gedenktag wird landauf, landab gesotten und gebraten was das Zeug hält, und auch das eine oder andere Restaurant in der Hauptstadt ändert die Speisekarte, um dem neugierigen Gast Einblicke in die Vielfalt isländischer Gaumenfreuden zu ermöglichen.

Unter süffisant kritischen französischen Autoren klingt das Urteil über die traditionelle isländische Küche etwa so: „Trotz einer unbestreibar engen Konkurrenz, erringt Island die Siegespalme der schlechtesten skandinavischen Küche. Die Armut, ja der Geiz der Böden, ein angeborener Instinkt für gewöhnungsbedürftige Geschmackkombinationen, Gemüse so lange gekocht wie ein Fischzug oder ein Polarwinter dauert, die lutherische Verdammung jeden Versuchs von Vergnügen, vor allem oraler Art: all das trägt dazu bei, aus einer isländischen Mahlzeit einen tragischen, glücklicherweise kurzen Moment zu machen, der den Menschen an der Existenz Gottes zweifeln lassen kann. In diesem Land wird nur gegessen, um nicht zu verhungern.“ 

(François Garde: Das Lachen der Wale). Milder äußert sich Raymond Dumay in seiner Abhandlung über die Frühzeit der Kulinarik. Für ihn setzt die isländische Küche der Prähistorie ein einzigartiges Denkmal, denn sie lebe von dem, was in freier Natur gesammelt oder gejagt werden kann.

Zum Glück, so darf man wohl sagen, ist das in seiner ganzen Ausführlichkeit kein Dauerzustand. Den Rest des Jahres kann man zwar hier und da eine der erwähnten Spezialitäten ausprobieren, teilweise schon beim Frühstücksbuffet und in vielen Restaurants (In Reykjavik hat sich das Restaurant Loki, benannt nach dem unberechenbaren Gott des Alten Nordens darauf spezialisiert, siehe Kapitel 1), aber die isländische Küche hat viel mehr als ihre eigene deftige Vergangenheit zu bieten. 

Die besten Küchenchefs des Landes schaffen es längst, mit einheimischen Zutaten, großartige und zu recht gepriesene Gaumengenüsse entstehen zu lassen. Der heute berühmteste kulinarische isländische Export Skyr, (siehe Kasten) läßt sich in vierlerlei Art zu Torten und Desserts veredeln. Die potente Engelswurz Angelica archangelica wird gern als Pesto verarbeitet und dem Rentierbraten beigefügt. Kvöldsól ist ein in Húsavík hergestellter Wein auf der Grundlage von Krähenbeeren, Rhabarber und Blaubeeren, und duftet Brot, gebacken über Nacht in heißer Lava, nicht wie Mutter Erde höchstpersönlich?

Da das Meer in Island nie weit entfernt ist, wird viel Fisch gegessen, allen voran Hering und Kabeljau. Letzterer taucht in Speisekarten oft als Gratin oder panierten Bällchen auf, früher wurde er vor allem gesalzen gegessen (saltfiskur) oder noch immer windgetrocknet als hardfiskur; der Eintopf plokkfiskur dagegen ist Familienrezept. Auch auf Island wird Lachs in Aquakultur gezüchtet, schmeckt dennoch in den meisten Restaurants vorzüglich.

Süß dagegen sind die „Liebeskugeln“ mit Rosinen, oder ein kleiner Kuchen, der den Namen „hjónabandsæla“ trägt, zu deutsch: Glücklicher-Hochzeits-Kuchen.

Wem all das zu exotisch klingt, findet Fastfood an jeder Tanke und Sjoppa (Miniladen mit Imbiss). Doch Vorsicht, auch da gibt’s Raum für Überraschungen, wenn die Einheimischen ein paar Gummibärchen aufs Vanille-Softeis streuen oder auf Pizza schwören, die mit Banane, Peperoni und Schinken belegt wird. Vielleicht ist es das ultimative Kennzeichen der isländischen Küche, das „Alles geht“? (Mit Ausnahme vielfältiger vegetarischer oder gar veganer Kost, besonders außerhalb der Städte).

Zu guter Letzt noch ein paar Vokabeln, die dem unkritischen Umgang mit Flüssigkeiten vorbeugen sollen: „Lava“ ist nicht nur Geologie sondern auch der Name eines cremigen Biers, das entfernt nach Milchkaffee schmeckt, „Landi“ ein selbstgebrautes Gesöff, das es unter allen Umständen zu vermeiden gilt und „Brennivin“ ein Anisschnaps, der als Beinamen nicht umsonst als „Schwarzer Tod“ bezeichnet wird. Trotzdem immer noch besser als Lakritzschnaps. Skál! Und Bon Appetit. 

Magazin Kunst – Bildhauerei

350 000 Menschen, und so viel Kreativität!

Der aktuelle Shooting-Star der isländischen Kunstszene, Ragnar Kjartansson (geboren 1976), bringt es auf den Punkt: „Die isländische Kunstgeschichte besteht nur aus Literatur. Außerdem hatten wir nie Kolonien, wir konnten also nichts von anderswo her zusammenraffen und bei uns ausstellen.“

Vielleicht findet deshalb auf Island Kunst weniger in Museen statt, als in den Köpfen und mit den Händen der Menschen. Für viele Isländer ist es jedenfalls nichts Ungewöhnliches, dass Bauern malen, Busfahrerinnen Gedichte schreiben, Lehrerinnen bildhauen, Fischer musizieren, Ärzte Filme machen und dafür auf globaler Bühne später groß gefeiert werden.

Joseph Beuys, der selbst durch Island reiste und besonders von den Walschlachthöfen im Hvalsfjör∂ur angetan war, hätte seine Freude an den Isländern gehabt, war er es doch, der erklärt hatte, dass jeder Mensch ein Künstler sei. Auf Island erweitert sich dieser Begriff noch, denn wie sonst konnte man früher auf dieser abgelegenen Insel am Polarkreis das Leben meistern, wenn nicht als Überlebenskünstler? Als solcher baute man aus Treibholz Boote, fertigte aus Vogelknochen Musikinstrumente, und schrieb auf der Haut der Graugans Gesetzestexte für die Nachwelt auf: Kunst, geboren aus der Notwendigkeit und dazu viel Raum, der geradezu danach schreit, gefüllt zu werden.

Wer nach Island fährt, wird viel Kunst erleben. Noch im abgelegensten Gasthof, oder der entferntesten Cafeteria werden Fotos, Wandteppiche und Gemälde von überraschender Qualität ausgestellt. Fragt man nach dem Künstler, kann es wie selbstverständlich heißen: Meine Ehefrau, mein Kind, mein Großvater, ein Nachbar.

Außerhalb dieser warmen und geschützten Zufluchtsorte findet der Besucher Kunst vor allem unter freiem Himmel, wo Skulpturen aus Basalt und Metall Wind und Wetter trotzen. Manche Künstler verweisen in ihren Werken auf die Naturkräfte, so wie Sigur∂ur Gu∂mundsson, dem das mit Vogeleiern aus Granit, die am Hafen des ostisländischen Djupivogur zu finden sind, auf konsequente Art gelang. Auf Grímsey, der nördlichsten Insel Islands, nähert sich, statt der Urkraft des Lebens, eine Künstlergruppe mit einem 8 Tonnen schweren Steinball (Orbis et Globus) dem Phänomen der Erdrotation. Dadurch dass das Objekt genau an der Stelle positioniert wird, wo aktuell der Polarkreis die Insel schneidet (seine Position ist aufgrund der unregelmäßigen Erdrotation veränderlich), muss auch die Skulptur jedes Jahr um 15 Meter nordwärts verschoben werden. Ob sie dann 2050, wenn der Polarkreis die Insel nach Norden verlässt, wohl ins Meer plumpsen wird? 

Ein anderer Fokus ist die Vergegenwärtigung der frühen Geschichte der Insel, deren Spuren durch Erosion und Elend immer mehr verwischen. Exemplarisch dafür stehen drei Künstler: Sigurjón Ólafsson (1908-1982) schuf zwei bronzene Hochsitzpfeiler für das Gelände am Höf∂i, nahe der Sæbraut. Um die Zauberkraft der Objekte zu stärken, waren die Hochsitzpfeiler ursprünglich aus Holz geschnitzt, mit dem Antlitz von Göttern versehen und mit magischen Eisennägeln durchdrungen worden. Im Museum des Künstlers an der Laugarnestangi 70 kann man weitere Arbeiten aus Metall, Treibholz und Basalt sehen. Ásmundur Sveinsson (1893-1982) ließ sich von den großen Dramen der Sagazeit inspirieren. Sveinsson schuf ein Museum, das an einen modernen Iglu erinnert und stellte im angrenzenden Skulpturengarten einige seiner berühmtesten Werke aus. (Sigtún). Der dritte große Name des frühen zwanzigsten Jahrhunderts ist Einar Jonsson (1874-1954). Auch seine Arbeiten fanden Platz in einem Museum und Skulpturengarten, gleich gegenüber der Hallgrimskirche. Das vermutlich berühmteste Werk Jonssons ist Der Missetäter. Abgüsse in Bronze gibt es sowohl in Reykjavik als auch in Akureyri. Sie erzählen die Geschichte eines Mannes, der nach dem Mord an einer Frau, gebeugt von seinem schlechten Gewissen, wie ein Wolf durchs Hinterland streicht und nie zur Ruhe finden darf.

Wer Lust auf Skulpturen zeitgenössischer Bildhauer bekommen hat, dem seien die folgenden drei Hotspots empfohlen: Im und vor dem Flughafen Keflavík (wo inzwischen eine Kuratorin die Kunst betreut), in Akureyri (auf der Webseite des Touristenamtes kann das PDF „Art Trail“ gratis heruntergeladen werden) und in der Hauptstadt selbst: Die bekanntesten sind am Tjörnin-See der Unbekannte Beamte (1993) von Magnús Tómasson, der einen Steinklotz statt seines Kopfes trägt. Das soll an die Beamten erinnern, die sich fern unserer Beobachtung um das Funktionieren des Staates bemühen. Auf der Ostseite des Tjörnin gibt es den Perlufestin-Garten, wo seit 2014 Werke von isländischen Frauen ausgestellt werden. Nahe des Konzertgebäudes der Harpa, – ihre Fassade selbst eine große Licht- und Glassarbeit des dänisch-isländischen Künstlers Olafur Eliasson -, steht die am häufigsten fotografierte Skulptur Islands: Jón Gunnar Árnasons Schiff der Sonnenreisenden. Von dort ist es nicht mehr weit bis zur kleinen Insel Vi∂ey. Zwischen dem 9. Oktober und 8 Dezember jeden Jahres entsteht dort, inspiriert von John Lennons Lied, ein Lichtturm. „Imagine Peace“ strahlt bei günstigen Witterungsverhältnissen bis zu 4000m hoch in den Himmel.


Portrait:

Neun Monate, nachdem seine Eltern für einen Film eine wilde Sexszene gedreht hatten, kam Ragnar Kjartansson zur Welt. Benannt nach seinem Großvater, einem berühmten Bildhauer des 19. Jahrhunderts, wuchs Ragnar mehr im Theater auf als zuhause, denn sein Vater war Drehbuchautor und Theaterdirektor, seine Mutter eine bekannte Schauspielerin. Später studierte Ragnar Kunst in Reykjavik und produziert heute Videos, zeichnet, malt, musiziert und schreibt, spielt Theater und bearbeitet Skulpturen. Eine Besonderheit seiner Kunst ist, dass er Sequenzen gern in Endlosschleife dreht. „Death is Elsewhere“ (2017-19) spielt im südisländischen Lavafeld Eldhraun, das in den Jahren nach 1783 entstand und inzwischen mit Moos bewachsen ist „Diese Landschaft veränderte die Welt“ erklärt er mit Verweis auf die Aschewolken des Vulkanausbruchs, die zur Französischen Revolution beitrugen, „aber heute ist es hier ganz ruhig und schön. Das fasziniert mich.“ Eine andere Besonderheit seiner Kunst ist, dass er autobiografisch arbeitet. In seinem Falle heißt das, dass er sich von seiner Mutter alle fünf Jahre anspucken lässt und das in einem Video festhält (Me and My Mother, 2000). In Palace of the Summerland (2014) geht es um Heimsljós (Weltlicht), ein Buch des Nobelpreisträgers Halldór Laxness. Für Kjartansson ist das tragische Streben des Protagonisten nach Schönheit und göttlicher Offenbarung die Matrix isländischer Kunst schlechthin. Warum er Kunst macht? „Nur in der Kunst sind Akteur und Betrachter gleichermaßen frei, den Inhalt einer Arbeit nicht verstehen zu müssen.“

Skyr

Seit einigen Jahren findet man das Molkereiprodukt Skyr auch fern der Insel in Supermärkten Mitteleuropas, Nordamerikas und selbst im Iran (als Kalleh – „isländischer Joghurt“). Während es ursprünglich im Norden Europas weit verbreitet war, wurde Skyr bald nur noch auf der Insel hergestellt. Dort wurde nicht nur als Nahrungsmittel genutzt, sondern auch als Wurfgeschoß: als die Streithähne Grettir und Au∂unn in der Grettir-Saga aufeinander losgehen, wirft Au∂unn einen Sack Skyr nach dem Helden, der daraufhin ärgerlich verkündet: „das war eine viel größere Schande, als von einem Kämpfer eine böse Wunde erhalten zu haben.“ Auch die moderne Kriminalgeschichte erwähnt Skyr. 1914 wird auf Island das letzte Mal eine Todesstrafe ausgesprochen, weil eine Frau ihren Bruder mit vergiftetem Skyr ins Jenseits befördert hatte.

Das Rezept für Skyr ist einfach, die Temperatur entscheidend: zunächst wird entrahmte Kuhmilch fast zum Kochen gebracht, dann auf 37 Grad abgekühlt, mit etwas altem Skyr gemischt um die guten Bakterienkulturen auf den neuen Skyr zu übertragen, fünf Stunden lang vergoren und dann weiter auf 18 Grad abgekühlt. Nach der Pasteurisierung wird Skyr von der flüssigen Hefe getrennt. Das Produkt hat 13 Prozent Protein, viel mehr als Joghurt, doch nur 0,2 Prozent Fett, viel weniger als Quark.

Traditionell wird Skyr auf Island mit einem Schuss warmer Kuhmilch und etwas Zucker serviert, gerne auch mit frischen Früchten oder Haferschleim. „Mysa“, die Hefe, die im Herstellungsprozess vom Skyr getrennt worden war, kann als Getränk genossen werden. Außerdem macht man aus Skyr Käsekuchen (skyrkökur), Milkshakes und Smoothies.