Bernd Bierbaum

«Farben, Leinwand und Kamera sind meine ständigen Begleiter um Impulse zu verarbeiten und zu dokumentieren»

Gemälde (1)

«Die Malerei hilft mir, das Unbeschreibliche sichtbar zu machen»

Bernd Bierbaum

Der Prozess des Malens

Die Entstehung eines Bildes in 7 Schritten

Biographie

Die erste künstlerische Fantasie, an die ich mich erinnere, ist eine „Zeichnung“, die ich mit dem geistigen Auge auf der Innenseite meines Kinderwagens anfertigte. Der Wagen war ausgekleidet mit dunkelblauem Stoff und mit dünnen beigen Linien bestickt. Für mich formten sie sich mal zu Wolken, mal zum Ast eines Baumes, der Bewegung eines Wurms oder zum Flugmuster eines Vogels.

Ich bin in einem Dorf in Niedersachsen aufgewachsen, zwischen Feldern, Wäldern und Industrie. Im Frühjahr pflanzten die Bauern Raps an, dessen gelber Blütenteppich sich bis zum Horizont erstreckte. Im Herbst lag der erdige Geruch gekochter Zuckerrüben in der Luft. In manchen Nächten ließ das geschmolzene Eisen der Stahlwerke die Wolken purpurrot aufleuchten.

Meine Kindheit spielte sich zum größten Teil innerhalb eines etwa 50 x 20 km großen Areals ab, in dem es viel zu entdecken gab, z.B. Kiesgruben und Teiche, in denen es vor winzigen Insekten, Algen und Amphibien nur so wimmelte. Ich betrachtete sie stundenlang mit der Lupe um immer wieder auf neue, seltsame Lebensformen zu stoßen. Die Gegend besteht aus Feldern und Waldgebieten, die sich sanft erheben und ebenso wieder abfallen –– ein Relikt alter Ozeane, die früher dieses Land bedeckten.

Wenn ich jetzt daran zurückdenke, ruft die Landschaft immer noch ein starkes Gefühl des Friedens und der Fülle in mir hervor.

Als ich aufwuchs, waren meine Familie und ich häufig auf Reisen. Kunstmuseen, Naturschutzgebiete und archäologische Stätten standen dabei ganz oben auf der Liste. Zwei Orte, die mich besonders stark beeindruckten, waren Neapel und Constanța, eine Stadt am Schwarzen Meer, beides quirlige Hafenstädte mit einer großen Vergangenheit.

In Constanța überraschten mich Muezzins, die muslimische Gläubige zum Gebet riefen, öffentliche Busse, die so überfüllt waren, dass die Menschen an ihnen förmlich klebten und Inschriften aus römischer Zeit. In Pompeji staunte ich über die expressiven Gemälde der Villa dei Misteri und im Nationalmuseum von Neapel über Fresken zarter weiblicher Gestalten, die engelsgleich durch Gärten schwebten.

Im Alter von 17 Jahren verbrachte ich ein Schuljahr an einer High School in der Nähe von Seattle und lebte bei einer amerikanischen Familie. Zu meiner unmittelbaren Umgebung gehörten nun gletscherbedeckte Vulkane, die tatsächlich explodieren konnten (der Mount St. Helens war im Jahr vor meiner Ankunft ausgebrochen), riesige Regenwälder und Meeresbuchten mit starken Gezeiten, in denen es von Seeanemonen, Seetangwäldern und Orcas nur so wimmelt.

Neben der Erkundung der grandiosen Natur lernte ich etwas kennen, das ich zuvor noch nie gesehen hatte: traditionelle und zeitgenössische indigene Kunst der Maler und Bildhauer der Nordwestküste. Ihre Ausdrucksformen trugen dazu bei, dass ich später Kulturanthropologie und Philosophie als Hauptfächer an der Universität München wählte und für meine Magisterarbeit bei einer indigenen Gruppe in Brasilien lebte.

Vor den Abschlussprüfungen zog ich mich in eine Holzhütte in den Alpen zurück. Erholung von existenziellen Fragen der Religionswissenschaften fand ich auf einer Almwiese vor meiner Hütte. Als ich auf der Alm angekommen war, war das Gelände noch von einer dicken Schneedecke bedeckt. Als ich sie Monate später wieder verließ, hatte sie sich zu einem farbenfrohen Teppich voller Leben verändert, dessen Vegetation und Tierwelt auf die kleinsten Nuancen von Temperatur, Sonnenlicht oder Feuchtigkeit reagierte.

Sich als Einsiedler wohl zu fühlen, ist ein Grundcharakter meiner Persönlichkeit, ebenso wie ich mich wohl fühle eine intensive Zeit mit ausgewählten Menschen zu verbringen. Eine neue Form der Kommunikation lernte ich durch meinen Beruf kennen: Ich begann als Reiseleiter und Dozent zu arbeiten und Expeditionen und Kulturreisen mit kleinen Gruppen durchzuführen. Diese Tätigkeit ermöglichte es mir, mich weiterhin vor Ort mit Ethnologie, Kunst und anderen Kulturwissenschaften zu beschäftigen. So erlebte ich in die Haut gemeißelte Tätowierungen von Iban-Kriegern auf Borneo, megalithische Strukturen auf der Osterinsel, Skulpturen der Inuit in Nordkanada, Felszeichnungen in Australien, Petroglyphen in Skandinavien, Korbflechterei in Kamerun und Pyramiden in Bolivien. Oder die in Stein gehauenen Kirchen in Äthiopien, Inka-Tempel in Peru, romanische Kathedralen entlang des Camino, modernistische Stadtarchitektur in Brasilia oder Barcelona. Plötzlich stand ich vor denselben Fresken im Nationalmuseum in Neapel, die ich als Kind bestaunt hatte, und teilte nun meine Ideen mit Gruppen von Menschen.

Dies geschah nicht nur einmalig. Der besondere Vorteil dieser Tätigkeit ist, dass ich durch sie immer wieder an die gleichen Orte reiste: 20 Mal in dasselbe Langhaus der Iban, 48 Mal in das gleiche portugiesische Kloster, 63 Mal in den Louvre. Dadurch hatte ich reichlich Gelegenheit, mich tiefer in die jeweilige Thematik einzudenken, ja sie zu spüren und mich darüber, was ich gelernt hatte, unterhaltsamer auszudrücken.

30 Jahre später habe ich 460 Reisen mit insgesamt 5500 Mitreisenden in 34 Ländern geleitet, nicht eingerechnet die Arbeit als Dozent auf Expeditionskreuzfahrten in die Arktis, Antarktis und zu abgelegenen Inseln des Indischen und Pazifischen Ozeans.

Es bleiben Fragen offen: Was macht man mit all dem? Und wie kann man es kompensieren?

Ein Beruf, in dem jedes Wort von einem aufmerksamen Publikum bewertet wird und eine Fülle von Eindrücken auf mich eindringt, verlangt nach Ausgleich. Ein Tagebuch zu führen, Gedichte zu schreiben oder Briefe zu verfassen, ist die eine Möglichkeit. Es gibt jedoch auch das eine und andere, was ich nur schwer in Worte fassen kann.

Deshalb begann ich Acrylfarben, Pinsel und Stücke aufgerollter Leinwand auf meine Reisen mitzunehmen. Hatte ich Zeit „zur freien Verfügung” (wie es im Reisejargon heißt), nutzte ich meine Utensilien für private „Performances”. Ob in einem Hotelzimmer oder fernab von anderen Menschen in der Natur, malte ich das, was mir in den Sinn kam.

Ein anderer Auslöser waren Ereignisse oder Anblicke, die sich nur schwer aus meinem Gedächtnis bannen ließen, wie Überfälle, terroristische Anschläge oder schlimme Unfälle, die ich hautnah miterlebte. Manchmal waren es auch Naturzerstörungen: großflächige Abholzungen uralter Wälder im Westen Kanadas oder im Amazonas, in denen ich noch kurze Zeit vorher gewandert war, Strände, die plötzlich ölverseucht waren oder farbenprächtige Korallenriffe die auf einmal verschwunden waren. Auch das Gegenteil konnte der Fall sein: Es war nicht selten, dass mich die Schönheit unserer Welt fast um meinen Schlaf bringen konnte. Die Malerei half mir oft, das Unbeschreibliche sichtbar zu machen, um es nicht vergessen zu müssen.

Ich lebte fünf Jahre aus dem Koffer, bevor ich nach Paris, zog. In der französischen Hauptstadt zeigte ich meine Malerei zum erstenmal auf Kunstausstellungen. Nach sieben Jahren war ich bereit, Kapstadt zu meiner neuen Heimat zu machen. Während ich weiter durch die Welt reiste, eröffnete mir Südafrika viele Möglichkeiten, mich durch das Schreiben und die Malerei auszudrücken. Inzwischen sind mehr als 20 Jahre vergangen. Noch immer verbringe ich die meiste Zeit des Jahres in Südafrika, bin während des Sommers aber auch oft in Havelberg, einer kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt.

«Zwischen den Räumen»

die Fotos der Ausstellung können auf Papier, Acrylglas oder Leinwand gedruckt erworben werden

«Eine Geschichte ist wie der Wind, sie schwebt von der Ferne herbei und wir spüren sie. Wenn die Sonne wärmt, werde ich nach so einer Geschichte greifen.«

– //Kabbo, ein Buschmann des 19. Jhdt.

«ENDZEIT»

Die erste Woche 1 |  Tag 1, Mittags Erst in Springbok, 500 Kilometer vor Kapstadt, war er sich des Irrtums bewusst geworden. Er hatte gerade die Lebensmittel, die mindestens für die nächsten drei Wochen reichen sollten, im Kofferraum verstaut und sich vor der Drogerie angestellt um Vitaminpräparate zu kaufen, als ihm klar wurde, dass er…
Mehr lesen «ENDZEIT»

«Bierbaum ist mit offenen Augen unterwegs»

ANDREAS OBST
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Konzepte

Chronologie der Ausstellungen :

ZWISCHEN DEN RÄUMEN (2023)

Unsere individuelle und gesellschaftliche Identität polarisiert stark zwischen:

Schwarz oder Weiß / Reich oder Arm / Krieg oder Frieden / Mann oder Frau / Hier und Dort / Vorher und Nachher /Erfolg und Misserfolg / Alt und Jung / Lachen oder Weinen / Krank oder Gesund.

Diese Gegensätze reduzieren dynamische Abläufe zugunsten dauerhafter Zustände und Fixpunkte, die dem Einzelnen vermeintlich Ordnung und Sicherheit bieten.

Eine Auswahl von Fotos, die auf der ganzen Welt entstanden, erlauben durch ihre Abstraktion Unschärfe, Überlappung und Bewegung. Andere konkrete Motive wurden so ausgewählt, dass sie Zwischentöne, Nuancen und Distanzen aufspüren. So stellt sich die Frage: 

„Was geschieht hinter den Augenlidern eines jungen Mädchens in Ghana?“

Die Präsentation der Fotografien folgt dem Inhalt indem sie mit Texten unterlegt werden. Auf Papier und – oder Acrylglas gedruckt werden sie zusätzlich per Beamer an die Wand geworfen, um einer durch den Künstler entwickelten Dynamik Rechnung zu tragen.

ENDZEIT (2020-2023) berichtet vom sehr persönlichen Umgang des Künstlers mit der Corona-Pandemie im März 2020 in Südafrika. Fotos, Gemälde und Texte veranschaulichen die ersten sieben Tagen des Lockdowns.

RANDOM IMPACT (2018) thematisiert die Amokfahrten in Nizza, Trier und Berlin, bei denen mit Hilfe von Autos und LKWs wahllos Menschenleben ausgelöscht wurden. Die Angriffe auf den öffentlichen Raum verdeutlichten die Verwundbarkeit und Zerbrechlichkeit des gemeinschaftlichen Miteinanders.

In großer räumlicher Distanz zu den Ereignissen wurden die Bilder in Kapstadt gemalt, und sind dort auch ausgestellt. Ohne erkennbare geografische, inhaltliche, farbliche oder chronologische Zuordnung (außer bei der Wahl des Titels), setzen sie den zerstörten Leben ein Denkmal. Allen Bildern gemeinsam sind kontrastreiche Pigmente und Oberflächen.

Den Gemälden werden Fotos von Grabsteinen der Herrnhuter Brüdergemeinde im dänischen Christiansfeld gegenübergestellt. Dem Glauben dieser Gemeinschaft zufolge dürfen Namen und Jahreszahlen der Verstorbenen allmählich verwittern, von Flechten ohne erkennbare Regelmäßigkeit überwuchert werden und alsbald verschwinden. Es entsteht ein wortloser Nicht-Ort, in Stille, ohne dass deshalb die Erinnerung an Kraft verlieren würde.

ABWESENHEIT (2004) wurde ausgelöst durch den frühen Verlust des Vaters und der Großeltern. Seit ihrem Ableben manifestieren sie sich vor dem inneren Auge des Künstlers durch Umrisse, Licht, Bewegung und Farbe. Auf diese Art bleiben die Verstorbenen eine wichtige Referenz bei Entscheidungsfragen oder während bedeutender Anlässe. Als “lebende Ahnen” (einem Konzept, das in vielen anderen Kulturen selbstverständlich ist) nimmt eine Vorstellung von ihnen weiterhin am Leben teil. Die gemalten Bilder sind der Versuch ihre anwesende Abwesenheit zu würdigen.

Den Gemälden werden Fotos gegenübergestellt, die aus dem Zugfenster aufgenommen wurden. Je schneller der Zug durch das ehemalige “Zonenrandgebiet” fährt, einer längst verschwundenen Gegend zwischen den neuen und alten Bundesländern, um so stärker verwischt sich jeder Versuch einer Betrachtung.

Der Titel des Bilderzyklus I LOVE (1996) geht auf ein Graffiti zurück, dass der Künstler in Island entdeckt hatte, ist aber eng mit Ereignissen des Sommers 1996 verbunden. Die Kirche Saint Bernard im Pariser Stadtteil La Goutte d’Or war damals Schauplatz einer Auseinandersetzung um die Sans Papiers, d.h. Männer, Frauen und Kinder, die ohne offizielle Dokumentation in Frankreich lebten, und in ihre Heimatländer deportiert werden sollten. Nachdem der Gemeindepriester am 28. Juni fast 300 Migranten mit Sans Papier Status das Kirchenasyl in Saint Bernard gewährt hatte, wurden diese am 23. August durch 1500 Sicherheitskräfte vor laufenden Fernsehkameras gewaltsam abgeführt und verhaftet, nachdem zuvor Soldaten die Kirchentüren mit Äxten eingeschlagen hatten. Der Vorfall verursachte eine tiefe Krise in der politischen Landschaft Frankreichs. 

Der Künstler, der damals im gleichen Pariser Quartier wohnte, entwarf “I LOVE” vor dem Hintergrund angespannter Diskussionen um Identität, Nationalität, und den zentralen christlich-abendländisch- , ja universal-menschlichen Glaubenssatz der Liebe, und seiner Ignorierung.

Zwölf  großformatige Bilder, die in Australien, Brasilien, Island, den Kanaren und in Kanada entstanden waren, wurden neben dem provisorischem Wohnraum der “Sans Papier” über Altäre und in einer der Kapellen aufgehängt. 

RIVERS OF INDIA (1995), war von einem antiquarischen Sachbuch über Flüsse Indiens inspiriert. Anstatt auf Zahlen und Gefällediagramme zurückzugreifen, versucht sich der Text in einer prosaischen Beschreibung der Lebensläufe: von der Quelle in den Bergen bis zur Mündung im Ozean, wo sich der individuelle Charakter des jeweiligen Flusses im Großen Ganzen auflöst. Übertragen auf das menschliche Leben, bieten sich biographische Parallelen an.

bisherige Ausstellungen:

1995: Rivers of India (Fotografien)

1996: I LOVE 

1995-2012: ABWESENHEIT

2014-2019: RANDOM IMPACT

2020-2022: ENDZEIT

2023: Zwischen den Räumen (Fotografien)

Bernd Bierbaum wurde 1964 geboren, studierte Ethnologie und Philosophie in München und Brasilien, und arbeitet weltweit als Kulturvermittler und Expeditions-Guide. Er lebt in (und zwischen) Kapstadt und Havelberg.